Warum Topmanager auf Coachs setzen

Aus der NZZ Neue Zürcher Zeitung, vom 04.08.2020

Im unscheinbaren Büro im Zürcher Seefeld gehen Topmanager ein und aus. Einer der Kunden des Executive Coach Cristian Hofmann ist ein erfolgreicher Banker, der als Chief Operating Officer in einer Abteilung für vermögende Kunden arbeitet. Er hat zunehmend Mühe mit den langwierigen Prozessen und der wenig innovativen Firmenkultur in der Grossbank. Bereits als Student hatte der 44-Jährige ein Unternehmen gegründet. Er habe wieder mehr direkt gestalten und bewegen wollen, sagt der Banker. Deshalb sei es Zeit gewesen für eine berufliche Standortbestimmung und eine Definition der Weiterentwicklung. Business Coach Hofmann hat ihn dabei unterstützt.

Fachartikel mit Cristian Hofmann in der NZZ

In Problemen gefangen

Hofmann sitzt mit seinem Büropartner Reinhard Vissa an einem grossen Tisch. Als Executive Coachs begleiten sie Klienten bei der Entwicklung ihrer Managementkompetenzen, in der Stärkung von Führungsteams, in der Strategieentwicklung oder bei der Bewältigung beruflicher Herausforderungen.

Dabei könne es schon einmal vorkommen, dass ihn ein Firmenchef am Sonntag spätabends anrufe, um nochmals die Argumente für die anstehende Verwaltungsratssitzung durchzugehen, erzählt Hofmann. Ratschläge erteilt er aber nicht, es geht vielmehr um eine Aussenperspektive auf das Thema. Hofmann spricht von «Kunden, die eine Reflexion zur Selbstbefähigung wünschen», von «lösungsorientierten Gesprächen auf Augenhöhe» und «garantierten, messbaren Resultaten im Executive Coaching». Das Ziel sei, als Führungskraft mehr Wirkung im Unternehmen zu erzielen.

Im professionellen Coaching geht man davon aus, dass jeder Mensch am besten weiss, was gut für ihn ist, und er seine Zukunft zum Besseren gestalten kann. Unter Druck bleibt man jedoch häufig in den Problemen gefangen. Coachs schaffen im Gespräch einen Raum, in dem wieder andere Perspektiven auf ein Thema möglich werden und die Kunden selbst eine Lösung oder eine neue Einsicht finden. Coachs unterstützen sie dabei, indem sie Schlüsselfragen stellen, Rollenspiele machen, psychologische Tests durchführen und konstruktive Feedbacks geben.


Oben ist die Luft dünn

Ein offener Austausch ist für Top-Führungskräfte besonders wichtig. Denn auf den Chefetagen sind ehrliche Feedbacks rar und Managerinnen und Manager oft auf sich allein gestellt.

Die meisten Topmanager haben einen Coach, doch die wenigsten sprechen offen darüber. sagt Vissa

Anders als in den USA werde es in der Schweiz immer noch oft als Schwäche ausgelegt, wenn sich jemand coachen lasse. Vissas Klienten sind vor allem Unternehmer, Verwaltungsräte und Investoren aus dem KMU-Bereich, in dem Coaching-Angebote noch wenig verbreitet sind. Anders sieht es bei den Grossunternehmen aus. Diese stellen neuen Führungskräften Coachs zur Seite und übernehmen in den meisten Fällen auch die Kosten.

Vissa und Hofmann waren zuvor selbst in leitenden Positionen und im Verwaltungsrat tätig – ähnlich wie viele ihrer Kollegen. Dieser berufliche Hintergrund ist wichtig, denn Executive Coachs müssen betriebswirtschaftliche Zusammenhänge kennen und verstehen, in was für einer Welt sich ihre Klienten bewegen. Als Sparringpartner gilt es aber auch, den Managern Paroli zu bieten. Führungskräfte sind es gewohnt, Macht auszuüben und den Ton anzugeben – und nicht selten wollen sie ihr Gegenüber testen.

Die Coaching-Anliegen der Topmanager sind vielfältig. Executive Coach Heike Rudolf von Rohr stellt oft wiederkehrende Muster fest. «Manager haben häufig Mühe, sich von ihrem Beruf abzugrenzen», sagt sie. Vor allem Frauen in diesen Positionen klagten, dass sie zu wenig Zeit für sich selbst hätten, weil sie mit Beruf und Familie so stark eingespannt seien.

Dadurch würden Topmanagerinnen und Topmanager oftmals zu viel Selbstwert aus ihrer beruflichen Tätigkeit ziehen. Wenn es im Job dann mal nicht rundläuft, fallen sie in ein emotionales Tief, weil andere Lebensbereiche wie Familie, Freunde oder Gesundheit dem Beruf «geopfert» worden sind. Manchmal falle es den Coachs schon schwer, abends zwei Stunden abzuschalten. Auf längere Sicht entstehe dadurch ein gesundheitliches Problem. Wenn die Säule Karriere viel höher sei als die anderen Säulen, gerate das gesamte Haus in Schieflage, sagt Heike Rudolf von Rohr.

Doch wie läuft ein Coaching ab? Und wie wirkt dieses? Ähnlich wie in der Psychotherapie stellen Coachs gezielte Fragen, um den Kunden das Problem bewusstzumachen und ihre Stärken zu aktivieren. Im Gespräch werden die Motive und Ziele der Klienten reflektiert. Die meisten Methoden stammen aus der Psychotherapie und wurden auf die Beziehung auf Augenhöhe angepasst. Coachs arbeiten auch oft mit Bildern und Skalen.


Ein Selbstversuch

Da die Gespräche vertraulich und teilweise sehr persönlich sind, bietet sich ein Selbstversuch an. Coach Claudia Beutter, Co-Leiterin des MAS-Studiengangs am Institut für Angewandte Psychologie (IAP) der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW), macht sich zunächst ein genaueres Bild meines Anliegens («Ich möchte vor vielen Menschen ohne Angst sprechen können») und stellt mir anschliessend Fragen wie «Wie gut fühlt es sich für Sie an, wenn Sie auf einer Bühne stehen – auf einer Skala von 1 bis 10?». Dann soll ich mich in eine Situation zurückzuversetzen, in der ein Auftritt trotz allem einigermassen gelungen ist.

Sie arbeitet mit der Methode «Das innere Team». Ich zeichne auf einem Flipchart auf, welche Figuren in dieser Situation im inneren Dialog stehen. Beutter schlägt einen «Qualitätsmanager» vor. Ich ergänze «die Abenteurerin», «den Entwickler» und «die graue Maus». «Was sagt die graue Maus?», fragt Beutter. «Bleib lieber im Loch, du könntest dich blamieren!» Im Gespräch stellt sich heraus, dass es nicht sinnvoll ist, die Maus aus dem Team zu vertreiben. «Sonst plustert sie sich nur noch mehr auf», sagt Beutter. Mit anderen Worten: Angst lässt sich nicht bekämpfen, man kann nur lernen, sich ihr zu stellen und besser damit umzugehen. «Seien Sie doch etwas mutiger!» – das würde Beutter aber nie in einem Coaching sagen. Es könne viele gute Gründe geben, vorsichtig zu sein. Der Kunde sei der Experte für seine Lebensumstände.


Aufgabe für „die graue Maus“

Das zweistündige Coaching-Gespräch führt zu einem konkreten Resultat: Es hat geklickt, und eine neue Aufgabe für «die graue Maus» ist gefunden. Die Methode ist zwar auf den ersten Blick etwas ungewohnt, doch die Vorteile werden rasch ersichtlich. Bilder helfen dabei, eigene Strategien zur Bewältigung des Problems zu finden.

Beutter entscheidet im Gespräch meist intuitiv, welche der zahlreichen Methoden sie anwendet. Mit der richtigen Wahl und einer guten Gesprächsführung lasse sich zwar die Erfolgswahrscheinlichkeit erhöhen, doch eine Garantie gebe es nicht, sagt sie. Es hänge von vielen Faktoren ab, wie rasch – und ob überhaupt – Ergebnisse erzielt würden. Zentral sind dabei das Vertrauensverhältnis zum Coach und die Einstellung des Coachees. Wird etwa ein Manager von seinem Vorgesetzten gegen seinen Willen ins Coaching geschickt, stehen die Chancen für eine Verbesserung schlechter. Dann gilt es für den Coach als Erstes, das Anliegen des Kunden zu identifizieren.


Trend zu Selbstoptimierung

Coaching ist in den 1970er Jahren in den USA entstanden und wird auch in der Schweiz zusehends beliebter. Die Branche boomt. Firmen setzen vermehrt auf Coaching, weil sie festgestellt haben, dass Führungsseminare allein nicht die gewünschte Wirkung erzielen. Auch sonst steigt mit dem Trend zu Selbstoptimierung und persönlicher Weiterentwicklung die Nachfrage nach individuellen Coaching-Angeboten.

Die Corona-Krise aber hat trotz grossen Veränderungen und Unsicherheiten nicht zu mehr Aktivitäten geführt. Die Nachfrage sei etwa gleich geblieben, sagt Jean-Paul Munsch, Präsident des Berufsverbands für Coaching, Supervision und Organisationsberatung (BSO). Die Umwälzungen hätten zwar grundsätzlich den Bedarf nach Unterstützung und Reflexion erhöht, die in der Krise auch kostenlos angebotenen Coachings seien jedoch kaum genutzt worden.


Ein intransparenter Markt

Der Coaching-Markt ist intransparent und unübersichtlich. Laut Schätzungen gibt es hierzulande rund 5000 Coachs. Executive Coachs machen lediglich einen geringen Anteil aus. Nicht nur Business-Coaching, sondern auch Life-Coaching – das von Beziehungsfragen über Sinnsuche bis zu Fitness- oder Astro-Coaching reicht – gewinnt an Bedeutung.

Der Stundenansatz für das Coaching-Gespräch beträgt je nach Angebot durchschnittlich zwischen 150 und 450 Fr. Die meisten Coachs können von ihrer Tätigkeit allein allerdings nicht leben und haben noch weitere Standbeine. Trotzdem hat der Coaching-Beruf eine hohe Anziehungskraft. «Es werden deutlich mehr Coachs ausgebildet, als der Markt aufnehmen kann», sagt Munsch. Die Berufsbezeichnung ist, ähnlich wie Journalist oder Architekt, nicht geschützt.

Es gibt eine Vielzahl von Ausbildungen, die zum Teil allerdings nur einige wenige Tage dauern. Professionelle Coachs hätten einen Masterlehrgang oder sonst eine zwei- bis dreijährige Ausbildung absolviert, sagt Munsch. Hinzu kämen viele Stunden an praktischer Erfahrung.

Im Zuge der Coaching-Welle sind aber auch zahlreiche unseriöse Angebote aufgetaucht. Es besteht die Gefahr, dass deswegen die gesamte Branche in Verruf gerät. Verbände wie der BSO oder die International Coach Federation (ICF) haben Standards gesetzt, mit denen sie die Qualität und Professionalität in der Branche erhöhen wollen. Auch ethische Aspekte spielen dabei eine Rolle.

Coachs sind von Gesetzes wegen nicht zur Vertraulichkeit verpflichtet. Wichtig sei daher, dass der Coach die Vertraulichkeit des Gesprächs zusichere, sagt Esther Goette, die Führungskräfte coacht und als Beraterin tätig ist. Ob es sich um ein seriöses Angebot handle, sehe man unter anderem daran, wie transparent das Berufsethos gegenüber den Kunden gemacht werde. Für das Gelingen des Coaching-Prozesses sei eine vertrauensvolle Beziehung zwischen Coach und Coachee entscheidend. Goette coacht Managerinnen und Manager im beruflichen Kontext, wobei eigentlich auch immer persönliche Anliegen zur Sprache kommen: «Der Mensch ist ganzheitlich, und die einzelnen Lebensbereiche beeinflussen einander.»

Da Goette viele internationale Kunden hat, führt sie die meisten Coaching-Gespräche per Videokonferenz durch. Die Coaching-Beziehung leide nicht darunter, sagt sie. Die Kunden würden im Online-Coaching zum Teil sogar offener über ihre Themen sprechen.


Mehr Online-Coaching

Wegen der Corona-Krise setzen auch bisher vorwiegend lokal tätige Coachs vermehrt auf Online-Angebote. Zudem wächst derzeit bei den Kundinnen und Kunden die Akzeptanz für digital durchgeführte Coachings. Laut Robert Wegener, Co-Leiter Coaching Studies an der Fachhochschule Nordwestschweiz, wird Blended Coaching beziehungsweise eine Kombination von Präsenz- und virtuellem Coaching immer mehr zum Best Practice in der Branche. «Man trifft sich ein oder zwei Mal vor Ort, und führt anschliessend die Sessions online durch», sagt er.

Mit der fortschreitenden Digitalisierung sind auch Online-Plattformen, über die Coaching-Sitzungen digital vermittelt werden, auf dem Vormarsch. Zudem entstehen Angebote, die Live-Chats mit Coachs anbieten – eine Gesprächsform, die vor allem bei den Jüngeren Potenzial hat. In der Praxis akzeptierte Coaching-Roboter seien dagegen noch Zukunftsmusik, sagt Wegener. Die Entwicklung gehe jedoch Richtung Online-Angebote, und darauf müssten sich die traditionellen Anbieter wie auch die Weiterbildner einstellen.

Künftig dürften vor allem Coachings für die breite Masse über Plattformen und virtuell durchgeführt werden, während massgeschneiderte Angebote weiterhin physisch stattfänden. Gerade Topmanager bevorzugten den persönlichen, individuell zugeschnittenen Austausch, sagt Wegener. Beim Executive Coaching handle es sich oftmals um eine längerfristige Beziehung. Im Durchschnitt daure ein Coaching-Verhältnis einige Monate, Topmanager aber hätten häufig auch langjährige Begleiter.


Kritischer Gesprächspartner

Auch Executive Coach Hofmann steht dem Banker weiterhin als konstruktiver, kritischer Gesprächspartner zur Seite. Nach der Standortbestimmung hat der Topmanager seinen Job gekündigt und tritt bald seine neue Stelle an als Partner in der Geschäftsleitung einer Privatbank – mit dem Ziel, eine digitale Transformation mit Fintech durchzuführen. In den ersten Tagen in der neuen Funktion gibt es potenzielle Stolperfallen, aber auch Möglichkeiten – und damit Bedarf für weitere Coaching-Gespräche.

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